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Kriminalpolitik und Strafrecht haben in den letzten Jahren eine Gruppe von Straftätern wieder entdeckt: die der so genannten „gefährlichen Straftäter". Auf diese Gruppe zielen einige neuere Gesetzesänderungen im Sexualstrafrecht, aber auch bei den kriminalrechtlichen Maßregeln und im Strafvollzugsrecht. Einzelne Kriminalfälle scheinen Anlässe für immer neue Vorschläge zu bieten, das Strafrecht umzugestalten. Es stellt sich die Frage, ob diese relativ kleine Gruppe der „gefährlichen Straftäter" tatsächlich eine besondere Problemgruppe für Kriminalpolitik und Strafrechtspraxis ist oder ob ihre Bedeutung eher überschätzt wird. Die Kriminologische Zentralstelle (KrimZ) veranstaltete am 15. und 16. November 2004 in Wiesbaden eine interdisziplinäre Fachtagung, in deren Rahmen das komplexe Thema aus der Sichtweise und Erfahrung mehrerer Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft erörtert wurde. Die Ergebnisse der Veranstaltung sind im vorliegenden Band dokumentiert.
Abschlussbericht der Expertenkommission zur Verbesserung der Aufklärung komplexer Unglücksereignisse
(2022)
Zehn Jahre nach dem Loveparade-Unglück in Duisburg (24.06.2010) hat der Landtag Nordrhein-Westfalen die Einsetzung einer Expertenkommission beschlossen, um zukünftig die Aufklärung komplexer Unglücksereignisse zu verbessern. Der Beschluss erfolgte als Reaktion auf die Kritik an der (rechtlichen) Aufarbeitung des Loveparade-Unglücks (u. a. zu späte Anklageerhebung, lange Prozessdauer). Analysiert wird anhand des Beispiels des Gerichtsverfahrens zum Loveparade-Unglück, auf welche Art und Weise multikausale Unglücksereignisse bestmöglich aufgeklärt werden können. Dafür werden die verfahrensbestimmenden Dokumente (u. a. Anklageschrift, Beschlüsse) ausgewertet sowie am Verfahren maßgeblich beteiligte Personen interviewt. Im ersten Teil des Berichts stellt die Expertenkommission zwanzig Vorschläge zur Verbesserung der Aufklärung komplexer Unglücksereignisse vor und erörtert diese detailliert (u. a. Modifizierung der Verjährungregelungen, Einsatz von Opferstaatsanwälten bzw. Opferstaatsanwältinnen, Überarbeitung des Adhäsionsverfahren, Einrichtung einer Sachverständigendatenbank, Bau geeigneter Sitzungssäle etc.). Zudem wird auf Einrichtungen der Schadensaufklärung im europäischen Ausland verwiesen. Im zweiten Teil des Berichts stellt die Kriminologische Zentralstelle (KrimZ) die Ergebnisse der Interviews vor (u. a. Verzögerungen bei Großverfahren, Personalausstattung, Öffentlichkeitsarbeit, Sachverständige etc.), welche sie im Auftrag der Expertenkommission ausgewertet hat.
Es wird eine Studie präsentiert, in der die psychodynamisch begründete Perversionstheorie von Robert D. Stoller (1979) empirisch überprüft wird. Nach Stoller können nach (früheren) traumatischen Erfahrungen aggressive Impulse in sexuell deviante Fantasien transformiert werden. Geprüft werden einzelne Aspekte dieser Theorie anhand einer umfangreichen Stichprobe von N = 954 Personen, die aufgrund sexuell motivierter Straftaten verurteilt und zwischen 2002 und 2018 an der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) im österreichischen Strafvollzug zu Vollzugszwecken ausführlich begutachtet worden sind. Dabei wurden u. a. der Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren (FAF) sowie der Grazer Assertivitätstest (GAT) verwendet. Die Ergebnisse zeigen, dass als paraphil diagnostizierte Probanden signifikant weniger spontane Aggression und weniger soziale Kompetenz als die Vergleichsgruppe ohne Paraphiliediagnose berichten. Die Ergebnisse lassen sich insofern mit der zentralen Annahme der Stoller’schen Perversionstheorie in Einklang bringen, als dass zwischen einer Paraphilie-Diagnose und selbstberichteter Aggression eine inverse Beziehung festgestellt wird.
Im forensisch-psychologischen Begutachtungsbereich haben kriminalprognostische Gutachten und Stellungnahmen einen hohen Stellenwert. Die Entwicklung der methodischen Zugänge zu kriminalprognostischen Einschätzungen wird beschrieben: vom (1) intuitiven Vorgehen zur (2) ersten statistisch-aktuarischen Prognose und (3) deren Weiterentwicklung um dynamische Risikofaktoren. Mit (4) der zusätzlichen Bereitstellung eines individuellen (idiografischen) Erklärungsmodells erfolgt eine Erweiterung von (3). Aktuelle Studienergebnisse mit Relevanz für die rechtspsychologische und forensisch-klinische Praxis werden referiert. Auf die Anwendung von Kriminalprognoseinstrumenten bei besonderen Gruppen (Sicherungsverwahrte, Patienten im Maßregelvollzug) wird ebenso eingegangen wie auf die kriminalprognostische Relevanz des Alters und klinischer Diagnosen wie sexuelle Präferenzstörungen oder Psychopathie. Abschließend wird auf die Bedeutung der Art und Weise der Risikokommunikation kriminalprognostischer Ergebnisse an den bzw. die Auftraggeber im Rahmen von Entscheidungen zur Verhängung, Aufrechterhaltung oder Beendigung freiheitsentziehender Maßnahmen eingegangen.
Der Beitrag betrachtet das Problemfeld Alkohol(missbrauch) und Kriminalität unter drei verschiedenen Gesichtspunkten. Nach einem kurzen historischen Rückblick zu Gustav Aschaffenburg (1900) werden in einem ersten empirischen Teil auf der Grundlage der Polizeilichen Kriminalstatistik und anderer Datenquellen Angaben zu Umfang und Qualität der alkoholbeeinflussten Straffälligkeit in Deutschland vorgestellt. Der nächste Abschnitt behandelt fünf verschiedene Hauptbereiche der alkoholbezogenen Kriminalität, z.B. die Straffälligkeit Alkoholkranker sowie den Alkoholismus von Rückfalltätern. Den unterschiedlichen Möglichkeiten der Verknüpfung von Alkohol und Kriminalität ist ein weiterer Abschnitt gewidmet, wobei vier verschiedene Verbindungsarten, u.a. auch Scheinzusammenhänge, diskutiert werden. Bezüglich der Frage, welche präventiven Schritte gegen Alkoholmissbrauch unternommen werden können, werden abschließend drei Modelle (Beschränkung des Verkaufs, Information und Aufklärung, soziokulturelles Entwicklungsmodell) vorgestellt. Angesichts des Umfangs der alkoholbezogenen Kriminalität betont der Verfasser die Notwendigkeit, bei kriminalpräventiven Maßnahmen im Suchtbereich neben der Drogenkriminalität verstärkt auch dieses Gebiet zu berücksichtigen.
Seit 1982 gelten Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), die es drogenabhängigen Tätern ermöglichen, sich anstelle von Strafhaft einer Drogentherapie zu unterziehen. Die vorliegende Studie widmet sich der Frage, ob auch für alkoholabhängige Straftäter eine vergleichbare Regelung in Betracht zu ziehen ist. Ziel der Untersuchung, die im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz durchgeführt wurde, war es, durch eigene empirische Erhebungen Lücken des aktuellen Erkenntnisstandes zu füllen, um Perspektiven aufzuzeigen und empirisch gesichertes Material für kriminalpolitische Entscheidungen zur Verfügung zu stellen. In einer Erhebung im Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug stellte sich heraus, dass 14 - 22 % der Gefangenen als alkoholabhängig bezeichnet werden können. Dennoch werden alkoholbezogene Störungen im Strafverfahren nur selten thematisiert, wie eine Aktenanalyse zeigte. In Befragungen von Vertretern der Strafrechtspraxis und des Strafvollzugs hielten etwa zwei Drittel der Befragten eine gesetzliche Therapieregelung für alkoholabhängige Straftäter für geeignet, Rückfälle zu vermeiden. Therapieeinrichtungen sind auch an einer Behandlung alkoholabhängiger Straftäter interessiert.
Das Durchschnittsalter der in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Personen steigt aufgrund der allgemeinen demographischen Entwicklung sowie der restriktiven Entlassungspraxis kontinuierlich an. In der von der Kriminologischen Zentralstelle durchgeführten Stichtagserhebung "Vollzug der Sicherungsverwahrung und der vorgelagerten Freiheits- und Jugendstrafe" von 2019 wurden N = 511 Sicherungsverwahrte mit einem Durchschnittsalter von 54,6 Jahren erfasst, das Alter der Gefangenen mit vorbehaltener oder angeordneter Sicherungsverwahrung (N = 454) lag bei 49,0 Jahren. Die Vollzugsanstalten und insbesondere das Anstaltspersonal werden dadurch mit unterschiedlichen altersbedingten Einschränkungen der älteren Klientel (z. B. physische und kognitive Funktionseinschränkungen, chronische Krankheiten) konfrontiert, die zum einen bauliche (Umbau-)Maßnahmen erfordern und zum anderen personelle Qualifikationen. Abschließend werden die Vor- und Nachteile einer separierten bzw. einer integrativen Unterbringung diskutiert und Verlegungs- bzw. Entlassungsmöglichkeiten für lebensältere Untergebrachte erörtert. Empfohlen wird die wissenschaftliche Erforschung der bereits bestehenden spezifischen Maßnahmen und Unterstützungsangebote für ältere Strafgefangene und Sicherungsverwahrte in den föderal organisierten Justizvollzugsanstalten.
Der Übergang vom Strafvollzug bzw. von der Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug in die Entlassung zur Bewährung ist für die Resozialisierung von Gefangenen bzw. Untergebrachten und damit nicht zuletzt auch für die Sicherheit der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Die ambulante Nachsorge im Anschluss an den stationären Aufenthalt stellt hierbei ein wichtiges Bindeglied dar. Schließlich sind die Ursachen der (erneuten) Straffälligkeit in aller Regel nicht eng umgrenzte Störungen, die nach intramuraler Behandlung beseitigt sind, vielmehr bedürfen stationäre Maßnahmen der Ergänzung und Fortsetzung durch nachgehende, extramurale Betreuung und Hilfsangebote, namentlich bei Straftätern mit erhöhtem Rückfallrisiko. Der Band dokumentiert die Ergebnisse einer 2003 von der KrimZ in Wiesbaden veranstalteten Fachtagung, in deren Rahmen das komplexe Thema aus der Sichtweise und Erfahrung mehrerer Experten aus Praxis und Wissenschaft vorgestellt und diskutiert wurde.
Es werden einschlägige Rückfalluntersuchungen und Sekundäranalysen aus den angloamerikanischen Ländern ausgewertet. Im Vordergrund stehen Arbeiten zu Sexualdelikten, die mit (physischer) Gewalt verbunden sind. Es zeigt sich, dass nur nach einer Klärung maßgeblicher Variablen wie Delikte, Tat- und Tätereigenschaften, Maßstab der erneuten Straffälligkeit, Dauer des Beobachtungszeitraumes sowie Behandlungs- bzw. Kontrolldaten sinnvolle Aussagen über Rückfallquoten möglich sind. Folgende Ergebnisse lassen sich u.a. hervorheben: Sexualstraftäter treten in geringerem Maße als andere Straftäter erneut strafrechtlich in Erscheinung. Die einschlägige Rückfälligkeit von Sexualstraftätern ist im Allgemeinen geringer als ihre sonstige erneute strafrechtliche Auffälligkeit. Die Wahrscheinlichkeit einer erneuten Straftat steigt durch eine (schwere) strafrechtliche Vorbelastung erheblich. Junge (gewalttätige) Sexualstraftäter rezidivieren häufiger als ältere, insbesondere wenn spezielle Persönlichkeitsmerkmale vorliegen. Die Persönlichkeitsmerkmale von Vergewaltigern, die Mehrfach- oder Rückfalltäter sind, weichen von denen durchschnittlicher Männer häufig gravierend ab. In der Behandlung von Sexualstraftätern werden in den letzten Jahren zunehmend Erfolge bei der Rückfallvermeidung berichtet. Für die Gruppe der Vergewaltiger sind solche Effekte vergleichsweise bescheidener oder nicht vorhanden. Eine generelle Intensivierung ambulanter Kontrollmaßnahmen für Sexualstraftäter - als Ergänzung oder Alternative zum Strafvollzug oder in Verbindung mit therapeutischen bzw. sozialintegrativen Programmen - findet vor allem in den USA statt; die hierauf bezogene Rückfallforschung steckt noch in den Anfängen.
Mittels einer Retrospektivbefragung im Zeitraum vom 02. Mai bis zum 21. August 2021 (16 Wochen) untersucht die vorliegende Studie Angriffsprävalenzen in Arbeitsbereichen mit normdurchsetzenden und helfenden Tätigkeiten. Zu diesem Zweck wurden wöchentlich Daten über Angriffe bzw. Gewalterfahrungen im Arbeitsalltag erhoben und hinsichtlich einer einwöchigen bzw. vierwöchigen Prävalenz untersucht. Diese umfassen: (1) verbale Angriffe, (2) körperliche Angriffe, (3) Gewalt gegen Sachgegenstände, (4) Diebstahl von Material oder Ausrüstung und (5) bewusstes Behindern bzw. Stören der Maßnahme. Die Stichprobe setzt sich zu 85,8 % (n = 609) aus Teilnehmenden normdurchsetzender Arbeitsbereiche (z. B. Polizei und kommunaler Ordnungsdienst) und zu 14,6 % (n = 104) aus Teilnehmenden helfender Arbeitsbereiche (z. B. Feuerwehr und Rettungsdienst) zusammen. Bei Betrachtung der Teilnehmenden, die mindestens eine Woche an der Befragung teilgenommen haben, ergibt sich eine Zusammensetzung aus 72,7 % männlichen und 27,3 % weiblichen Befragten. In allen Berufsgruppen zeigt sich, dass verbale Angriffe den größten Teil der gemeldeten Angriffe darstellen. Trotz der unterschiedlichen Aufgabenbereiche ist die Gruppe der helfenden Funktionsträger/-innen (bei einer Prävalenz von einer Woche) nur geringfügig seltener von Angriffen betroffen als die Gruppe der normdurchsetzenden. Der größte Unterschied ist bei körperlichen Angriffen mit 3,5 Prozentpunkten zu verzeichnen. Abschließend werden methodische Vorzüge und Einschränkungen der Studie diskutiert.
Sozialtherapeutische Einrichtungen des Justizvollzugs (SothEn) dienen der Behandlung von jugendlichen und erwachsenen Straftätern bzw. Straftäterinnen aus dem Deliktsbereich der Gewalt- und Sexualstraftaten, um das Rückfallrisiko nachhaltig zu reduzieren. Die Kriminologische Zentralstelle führt seit 1997 jährlich eine Stichtagserhebung zur Sozialtherapie durch, wobei 2021 der Standardfragebogen durch einen Zusatzfragebogen ergänzt wurde. Dieser erfasste unterschiedliche Merkmale zur Aufnahme, Verbleib und Beendigung einer sozialtherapeutischen Behandlung in allen 71 SothEn in Deutschland. Aufnahmen erfolgten im gleichen Maße nach aktuell geltenden gesetzlichen Regelungen für Sexual- und Gewaltstraftäter/-innen sowie durch Einzelfallentscheidungen. Eine Diagnostik der Gefangenen bei der Aufnahme war die Regel und erfolgte meist in der eigenen Einrichtung. Darüber hinaus fanden in drei Viertel der Einrichtungen vorab vereinbarte Probephasen zur Aufnahme statt. In der Regel fanden Behandlungsabbrüche meist in den ersten zwölf Monaten statt. Eine Nachbetreuung in Form von Bewährung oder Führungsaufsicht war im Großteil der Fälle gegeben. Obwohl Probephasen mit Motivationsmaßnahmen bei der Aufnahme in die SothEn vorhanden waren, war die Zahl der Abbrüche aufgrund unzureichender Behandlungsmotivation unverändert hoch, weshalb insbesondere die Motivationsförderung der Hochrisikoklientel weiterhin empfohlen wird.
Nach § 67a II StGB kann eine zu Sicherungsverwahrung verurteilte Person in den Vollzug einer anderen Maßregel überwiesen werden, sofern das Gericht der Auffassung ist, dass ihre Resozialisierung dort besser gefördert werden kann. Seit der Reform der Sicherungsverwahrung ist dies sowohl aus dem Vollzug der vorgelagerten Freiheitsstrafe als auch nach Antritt der Sicherungsverwahrung möglich.
Der vorliegende Forschungsbericht liefert grundlegende personen- und verfahrensbezogene Informationen dazu, in welchen Fällen § 67a II StGB zur Anwendung kommt. Die Datenbasis lieferte eine bundesweite Abfrage der Einrichtungen des forensisch-psychiatrischen Maßregelvollzugs zu einschlägigen Unterbringungen nach dem 01.01.2014 und eine daran anschließende Aktenanalyse.
In der jüngeren Vergangenheit wird medial und politisch über die Frage eines Anstiegs der sog. Messerkriminalität sowie über einen mutmaßlichen Zusammenhang mit der Staatsangehörigkeit der Täter/-innen diskutiert. Anhand von Daten aus Rheinland-Pfalz werden aktuelle empirische Ergebnisse über das Phänomen der Messerkriminalität berichtet. Ausgehend von einer Erhebung des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Justiz wurden zu diesem Zweck Urteilstexte von insgesamt N = 519 rechtskräftig wegen schwerer Gewaltkriminalität abgeurteilten Personen ausgewertet, die sich auf Aburteilungen des Jahres 2013 (n = 253) und des Jahres 2018 (n = 266) beziehen. Die Ergebnisse zeigen, dass es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen Messerkriminalität und schwerer Gewaltkriminalität insgesamt hinsichtlich der untersuchten Variablen, insbesondere der Staatsangehörigkeit, gibt. Auch ein massiver Anstieg der Messergewalt von 2013 auf 2018 konnte nicht nachgewiesen werden. Lediglich der Unterschied zwischen Messerkriminalität und genereller schwerer Gewaltkriminalität hinsichtlich der Schuldfähigkeitsbeurteilung war für beide Jahrgänge hochsignifikant. Es wird geschlussfolgert, dass auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse kein unmittelbarer kriminalpolitischer Handlungsbedarf abgeleitet werden kann.
Anschließend an die Studie zur Untersuchung der Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Sozialtherapeutischen Einrichtungen (SothEn) im Jahr 2020 hat der Arbeitskreis für Sozialtherapeutische Einrichtungen im Justizvollzug e. V. für das Jahr 2021 eine Folgestudie initiiert und gemeinsam mit der Kriminologischen Zentralstelle e. V. realisiert. Die Leiter/-innen der 71 SothEn in Deutschland wurden schriftlich befragt. Die Rücklaufquote lag bei 67,6 % (N = 48). Der Fragebogen erfasst folgende Themenfelder: (1) Corona-Erkrankungen des Personals sowie der Inhaftierten, (2) Einführung der Maskenpflicht, (3) Einschränkungen der therapeutischen Arbeit und des Tagesgeschäfts, (4) Innovationen, (5) strukturelle Veränderungen im Organisationsaufbau bzw. Personalstruktur, (6) Auswirkungen auf das Beziehungsverhältnis Behandlungsteam vs. Patient/-in, (7) Auswirkungen auf die Behandlungsbereitschaft der Patienten bzw. Patientinnen, (8) Auswirkungen auf das Behandlungsteam bzgl. Motivation und Optimismus, (9) Auswirkungen auf Risikofaktoren und Kriminalprognose, (10) Gesamteinschätzung. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt ein heterogenes Bild zwischen den verschiedenen SothEn. Es werden sowohl geringe als auch starke Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf therapeutische Maßnahmen, Gefangenenarbeit, Sportangebote, Beziehungsverhältnis, Behandlungscompliance sowie Berufsmotivation berichtet. Hinsichtlich der Realisierung von Gefangenenbesuch und vollzugsöffnenden Maßnahmen haben alle SothEn Einschränkungen verhängt. Zudem wird die Vorbereitung auf die Haftentlassung von allen SothEn als ungenügend bezeichnet. Eine Folgestudie wird als sinnvoll erachtet.
Ausgehend von einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung der Sozialtherapeutischen Anstalten im Justizvollzug werden in diesem Beitrag aktuelle Problembereiche der Sozialtherapie diskutiert. Langjährige praktische Erfahrungen wie auch wissenschaftliche Evaluationsstudien sprechen für eine Konsolidierung und hinreichende Bewährung dieses Behandlungsansatzes. Dennoch verweist eine aktuelle Umfrage unter den bestehenden Einrichtungen auf zahlreiche Probleme und Mängel konzeptioneller und struktureller Art. Es wird die Ausarbeitung eines verbindlichen Rahmenkonzepts empfohlen.
Das Bekanntwerden von Missbrauchsvorfällen in pädagogischen Institutionen, auch der katholischen Kirche, löste 2010 eine bundesweite öffentliche Debatte über die Gefahren sexualisierter Gewalt und körperlicher Misshandlungen im institutionellen Kontext aus. Vor diesem Hintergrund befasst sich der vorliegende Beitrag mit der psychologischen Betrachtung von Belastungserleben und dem Prozess der sekundären Viktimisierung bei Fällen des Missbrauchs im institutionellen Kontext. In einer November 2015 bis Januar 2016 durchgeführten Befragung von N = 21 betroffenen ehemaligen Internatsschülern der Regensburger Domspatzen wurden die Schwere der traumatischen Kindheitserfahrung, der Zusammenhang mit akuten psychischen Belastungen von Betroffenen und der Einfluss des Umgangs der katholischen Kirche mit der Thematik erhoben. Die Erlebnisse der Vergangenheit sowie das aktuelle Erleben der Studienteilnehmer, insbesondere im Hinblick auf den Umgang der Kirche mit den Missbrauchsvorwürfen, wurden anhand standardisierter und psychometrisch geprüfter Verfahren erfasst und die Ergebnisse mit denen anderer Stichproben verglichen und umfassend diskutiert.
Im Rahmen des Projektes AMBOSafe ("Angriffe auf Mitarbeiter/-innen und Bedienstete von Organisationen mit Sicherheitsaufgaben") wurden konfliktreiche Einsatzsituationen von Polizei- und Rettungskräften untersucht. Vorgestellt werden Ergebnisse, die durch Befragungen von N = 1.763 Polizeibedienstete erhoben wurden. Zusätzlich haben N = 538 Polizeikräfte bis zu 16 Wochen ihren Arbeitsalltag standardisiert dokumentiert sowie Ereignisprotokolle für besondere Vorkommnisse verfasst. Neben der Häufigkeit und der Art der Angriffe werden die angreifende(n) Person(en) beschrieben und eruiert, ob die problematische Einsatzlage von den betroffenen Polizeikräften bereits im Vorfeld erkannt wurde, oder sich für diese überraschend ereignet hat. In diesem Zusammenhang werden auch persönliche Stressfaktoren der Einsatzkräfte als mögliche Risikofaktoren für eine Viktimisierung im Dienst diskutiert und potentielle Strategien zur Entschärfung von konfliktreichen Einsatzsituationen besprochen. Abschließend wird darauf hingewiesen, dass die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Berufsgruppen der Einsatzkräfte gefördert werden sollte, z. B. in Form von gemeinsamen Einsatznachbesprechungen und gemeinsamen Fortbildungen. Im Rahmen des Projekts AMBOSafe wurden bereits berufsgruppenübergreifende Übungen (z. B. Einsatzszenario "Häusliche Gewalt") realisiert, die von den verschiedenen Berufsgruppen als positiv eingeschätzt wurden.
Die Etablierung des Internets als sozialer Raum stellt die größte Umwälzung menschlicher Kommunikations- und Interaktionsformen der letzten Jahrzehnte dar. Bekannte Delinquenzformen wurden an die digitale Welt angepasst, entstanden sind aber auch neue, strafrechtlich relevante Äußerungsformen in der digitalen Kommunikation. Im Überblick werden kriminologische und forensische Erkenntnisse aus dem deutschsprachigen Raum zu Formen der Cyberkriminalität dargestellt, die im Kontext von Partnerschaft, Sexualität und Peerbeziehungen auftreten: Neben dem Cyberstalking und Cybergrooming wird auf Cyberbullying (oder -mobbing) sowie das (Love- oder Romance‑)Scamming eingegangen und es werden zentrale Forschungsergebnisse referiert. Die Darstellung dieser cyberkriminellen Ausdrucksformen verdeutlicht den stetigen Zuwachs an Bedeutung, den dieser Delinquenzbereich in den letzten Jahren verzeichnet, und unterstreicht gleichzeitig die Notwendigkeit einer spezifischen Cyberkriminologie dieser und anderer digitalen Delinquenzformen.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, mit welchen Maßstäben Bewährungshelfer den Erfolg ihrer Bemühungen um den Probanden einschätzen. Auf der Basis der Angaben von 1120 Bewährungshelfern lässt sich erkennen, dass Kriterien der Legalbewährung nur einen Teil der Ziele darstellen, die die Bewährungshelfer in der Probandenarbeit verfolgen. Freilich zeigt die Vielzahl der Antworten auch, dass es derzeit eher einen Kanon unterschiedlicher Zielvorstellungen gibt, und es an einer übergreifenden, die Angaben von möglichst vielen Bewährungshelfern berücksichtigenden Erfolgsbestimmung justitieller Sozialarbeit noch fehlt.
Einleitend wird zunächst ein Überblick über das bundesweite Forschungsprojekt "Soziale Dienste" gegeben, das die Kriminologische Zentralstelle zwischen 1991 und 1998 beschäftigt hat. Auf der Grundlage von Befragungsergebnissen von Bewährungshelfern, ihren Dienstaufsichten und von Strafrichtern werden Fragen des beruflichen Selbstverständnisses der Bewährungshilfe thematisiert. In jeweils eigenständigen Kapiteln werden die Interpretation des Hilfeaspektes und Betreuungsaspektes, die Doppelfunktion der Bewährungshilfe von Hilfe und Aufsicht, die Strategien im Umgang mit einer hohen Fallbelastung, die im Umgang mit den Probanden einzusetzenden Methoden und Vorgehensweisen und die Frage fachlicher Kontrolle aus der Sicht der Beteiligten behandelt. Abschließend werden die Ergebnisse im Hinblick auf die Konsequenzen für die Projektfragestellungen zusammengefasst und der erforderliche Handlungsbedarf zur Fortentwicklung der Bewährungshilfe aus der persönlichen Sicht des Verfassers benannt.
Der Beitrag behandelt die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen in der Arbeit der Bewährungshelfer mit ihren Probanden im Hinblick auf den Hilfeaspekt und Betreuungsaspekt. Nach Einschätzung der weitaus meisten Bewährungshelfer ist diese Arbeit derzeit stark durch die Vermittlung sozio-ökonomischer Hilfen zur Verbesserung der Lebenssituation geprägt. Der psychosozialen Beratung und Betreuung sollte ihrer Meinung nach ein höherer Stellenwert als bisher eingeräumt werden. Diese Sichtweise wird tendenziell auch von den Dienstaufsichten mit der Einschränkung geteilt, daß ein ungefähres Gleichgewicht beider Aufgabenbereiche anzustreben ist.
Bewährungshelfer haben einerseits dem Verurteilten helfend und betreuend zur Seite zu stehen, andererseits den Verurteilten zu überwachen und dem Gericht Bericht zu erstatten. Diese Doppelfunktion der Bewährungshilfe von Hilfe und Aufsicht wird von bundesweit etwa 460 befragten Strafrichtern und Dienstaufsichten deutlich zugunsten des Hilfeaspektes interpretiert. Eine weitere Verselbständigung und Fortentwicklung des beruflichen Selbstverständnisses der Bewährungshilfe wird allerdings dadurch eingeschränkt, dass die befragten Strafrichter ihre Anweisungsbefugnis gemäß § 56d Abs 4 StGB auch auf die betreuende und helfende Tätigkeit des Bewährungshelfers beziehen.
Eine intensive Auseinandersetzung mit der Problematik der zu betreuenden Klientel ist der Bewährungshilfe angesichts der hohen Fallzahlen nur eingeschränkt möglich. Der Beitrag diskutiert Strategien im Umgang mit einer hohen Fallbelastung aus Sicht der Bewährungshelfer, ihrer Dienstaufsichten und der unterstellenden Strafrichter. Dabei wird deutlich, daß insbesondere Anregungen vorzeitiger Beendigungen einer Unterstellung vergleichsweise selten praktiziert werden. Die prinzipiell positive Resonanz derartiger Vorschläge bei den Strafrichtern sollte für die Bewährungshelfer Anlass sein, Anregungen zur Verkürzung der Unterstellungszeiten auch im Hinblick auf eine gewisse Fallentlastung künftig häufiger vorzuschlagen.
Im Umgang des Bewährungshelfers mit seinen Probanden sind eine Vielfalt von Vorgehensweisen und Methoden vorstellbar. Der Beitrag beschäftigt sich mit der Bedeutung einzelner Vorgehensweisen für die Arbeit des Bewährungshelfers. Bei der Gegenüberstellung dieser Befunde mit den Vorstellungen von Dienstaufsichten und Strafrichtern zur Arbeitsweise der Bewährungshilfe wird deutlich, dass die Zielsetzungen der Bewährungshelfer auch den Erwartungen der Strafjustiz entsprechen. Hervorhebenswert ist dabei, dass von justitieller Seite der Bewährungshilfe keine Orientierung an Repressionsaspekten abverlangt wird.
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Handhabung der Dienstaufsicht und Fachaufsicht für das Tätigkeitsgebiet der Bewährungshilfe aus Sicht der befragten Bewährungshelfer und ihrer Dienstaufsichten. Die Befragungsergebnisse zeigen, dass Dienstaufsicht und Fachaufsicht unter Beteiligung von Sozialarbeitern anders ausgeübt wird. Die allerdings nur tendenziell erkennbaren Unterschiede sprechen dafür, dass fachliche Aspekte beruflichen Handelns durch die Beteiligung von Sozialarbeitern an Aufsichtsbelangen stärkere Berücksichtigung finden. Freilich ist auch darauf zu verweisen, daß eine konsequente Verknüpfung fachlicher und dienstrechtlicher Weisungsbefugnisse nicht den Vorstellungen der befragten Bewährungshelfer entspricht.
Unter Heranziehung verschiedener Forschungsberichte werden Resozialisierungsoptionen und niedrigere Gefangenenraten in Ländern mit Behandlungsmaßnahmen als mögliche Gründe für das neue Interesse an behandlungsorientierten Sanktionen diskutiert. Vollzugsrechtliche Ansätze der Europäischen Union werden anhand von Völkerrechtsnormen, Strafvollzugsgrundsätzen und Rechtsprechungsbeispielen erläutert. Unter dem Aspekt vollzugsrechtlicher Ansprüche auf Behandlung in Deutschland werden Verlegungen in sozialtherapeutische Einrichtungen, Behandlungsangebote in Zusammenhang mit Sicherungsverwahrung und individuelle Vollzugsplangestaltungen infolge von Behandlungsuntersuchungen erörtert. Als Fazit wird festgehalten, dass Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich nützlich sind und nur in Ausnahmefällen nicht angeboten werden dürfen.
Die neuen gesetzlichen Regelungen zur Verwirklichung des Abstandsgebotes in der Sicherungsverwahrung werden erläutert und bewertet. Dabei wird ein Überblick über die Ländergesetze und deren Reichweite gegeben sowie der Einfluss des StGB § 66, der die bundesrechtlichen Rahmenregelungen zur Sicherungsverwahrung enthält, beschrieben. Im Einzelnen erfolgt ein Vergleich der Länderfassungen hinsichtlich: (1) Behandlung und Vollzugsplan, (2) Wohnen und Essen, (3) Umgang mit Arbeit, (4) vollzugsöffnende Maßnahmen, (5) Kontakte nach außen und (6) Disziplinarmaßnahmen. Auf Veränderungen gegenüber der bundesrechtlichen Vorlage wird hingewiesen.
Die Verfasser berichten über ein Modellprojekt zur Reorganisation der Sozialen Dienste in der Strafrechtspflege in Schleswig-Holstein. Dabei wurden im Landgerichtsbezirk Flensburg die Gerichtshilfe und die Bewährungshilfe für die Dauer von zwei Jahren (1997 bis 1998) zusammengelegt. Die wesentlichen Ergebnisse werden anhand der wissenschaftlichen Begleitforschung der Kriminologischen Zentralstelle dargelegt. Vor dem Hintergrund der in Flensburg gemachten Erfahrungen werden Perspektiven für die Entwicklung der Sozialen Dienste in der Justiz entwickelt. So befürworten die Autoren grundsätzlich die Zusammenlegung der Dienste, weisen jedoch auf die Nachteile hin, die entstehen könnten, falls die Gerichtshilfe ihre Anbindung an die örtliche Staatsanwaltschaft verlieren würde. Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Maßnahme sei auch ein Umdenken bei den Fachkräften. Diese müssten erkennen, dass sie gemeinsam berufen seien, die anfallenden Aufgaben zu erledigen.
Im Jahr 2006 wurden von einer Arbeitsgruppe (nicht verbindliche) Mindestanforderungen für Prognosegutachten formuliert, die bereits im Gutachtenauftrag Berücksichtigung finden sollen. Insbesondere sollen die Sachverständigen sich an folgenden vier prognostischen Fragestellungen orientieren: (1) der Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten, (2) der Art, Häufigkeit und des Schweregrades erneuter Straftaten, (3) möglicher risikoreduzierender Maßnahmen und (4) möglicher risikoerhöhender Umstände. In einer empirischen Studie werden N = 787 Prognosegutachten von Gewalt- und Sexualstraftätern, die zwischen 1999 und 2016 erstellt worden sind, hinsichtlich der richterlichen Auftragsstellung und deren Beantwortung analysiert. Einen Teil der Stichprobe bilden n = 412 externe Prognosegutachten der JVA Freiburg und n = 375 Prognosegutachten der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Es wurden n = 407 (Freiburg: 253, München: 154) vor 2006 erstellt und n = 380 (Freiburg: 159, München: 221) nach 2006. Es zeigt sich, dass ab 2006 die Münchner Abteilung eine statistisch signifikant häufigere Beantwortung der Fragestellungen (1), (2) und (4) verzeichnet, wohingegen keine Veränderung bei den externen Prognosegutachten der JVA Freiburg festzustellen ist. Es wird argumentiert, dass in universitären Einrichtungen eher wissenschaftliche Empfehlungen aufgegriffen werden als in der allgemeinen Gutachterpraxis. Zudem wird die Bedeutung der Bezugnahme auf die prognostischen Fragestellungen bereits im richterlichen Gutachtenauftrag betont, da statistisch gezeigt werden kann, dass diese zu einer konkreteren Beantwortung durch die Sachverständigen führt.
Eine Bestandsaufnahme des aktuellen Forschungsstandes zur Bedeutung des Psychopathy-Konstrukts im Kontext der Wirtschaftskriminalität verdeutlicht, dass neben einer populärwissenschaftlichen Rezeption auch eine bedeutsame Anzahl an theoretischen und empirischen Studien veröffentlicht wurde. Nach einer allgemeinen Einführung und kurzen Beschreibung der wichtigsten Messmethoden für psychopathische Persönlichkeitseigenschaften werden die im Rahmen einer Literaturrecherche ausgewerteten Artikel anhand dieser Themenbereiche überblicksartig genannt und dargestellt: Psychopathy in der Wirtschaft mit den Unterkategorien Führung, Produktivität, Arbeitsleistung und Ausbildung, Psychopathy und "kontraproduktives Verhalten" am Arbeitsplatz, Psychopathy und Wirtschaftskriminalität sowie die neurowissenschaftlichen Grundlagen von Psychopathy im Wirtschaftskontext. Abschließend wird ein vielversprechender Ansatz für zukünftige Forschungsarbeiten in einer Verbindung der eher personal-persönlichkeitsorientierten angloamerikanischen Forschungstradition und des mehr strukturell angelegten Wissenschaftszugangs der deutschsprachigen Kriminologie gesehen.
Opfer von Straftaten bilden eine heterogene Gruppe. Viele leiden unter lang anhaltenden Folgen in Form von psychischen und physischen Beeinträchtigungen. Es gilt diese mithilfe von passenden Hilfs- und Unterstützungsangeboten zu reduzieren. In diesem Kontext ist eine Datenbank (www.odabs.org) für von Sexualdelikten und Gewaltdelikten betroffene Menschen, in der die Kontaktdaten und die vorhandenen Leistungen aller bundesweiten Einrichtungen gelistet sind, erstellt worden. Sie ist anonym, frei zugänglich, kostenlos und ermöglicht eine schnelle Übersicht über die zahlreichen Beratungsangebote nach individuellem Bedarf. Die Website entstand aus einer Bestandsaufnahme der Kriminologischen Zentralstelle zu Hilfeangeboten für Opfer von Straftaten in Deutschland ("Atlas der Opferhilfen"). Die Datenbank soll Betroffene von Straftaten darin unterstützen, mit ihrer Situation umzugehen.
Die Offender Group Reconviction Scale, Version 3 (OGRS 3) ist ein aktuarisches Kriminalprognoseinstrument zur Einschätzung des allgemeinen Rückfallrisikos während eines einjährigen bzw. zweijährigen Nachbeobachtungszeitraums. Die englischsprachige Originalversion der OGRS 3 (Francis et al. 2007; Howard et al. 2009; National Offender Management Service 2009) wurde in Großbritannien auf der Basis einer Normierungsstichprobe von über 79 000 Personen entwickelt und wird dort seit 2008 routinemäßig in der Bewährungshilfe eingesetzt. Die OGRS 3 umfasst sechs Items zu verschiedenen soziodemografischen Parametern, zur strafrechtlichen Vorbelastung und zum aktuellen Hauptdelikt. Sie eignet sich für männliche sowie weibliche straffällig gewordene Personen und ist unabhängig von der Art des Indexdeliktes einsetzbar.
Mit diesem BM-Online-Band wird die offizielle deutsche Übersetzung der OGRS 3 für die praktische Anwendung zur Verfügung gestellt. Ergänzend dazu kann ein Excel-basiertes Berechnungs-Tool (Stand: 13.01.2022) zur Unterstützung der Anwendung der OGRS 3 in deutscher Sprache heruntergeladen werden, mit dem eine automatisierte Berechnung der OGRS 3-Risikowerte vorgenommen werden kann.
Das Assessment of Risk and Manageability for Individuals with Developmental and Intellectual Limitations who Offend Sexually (ARMIDILO-S) ist ein klinisch-ideographisches Kriminalprognoseinstrument, speziell für den Personenkreis intelligenzgeminderter erwachsener Männer, die Sexualstraftaten begangen oder sexuell grenzverletzendes Verhalten gezeigt haben. Neben der Einschätzung des Rückfallrisikos liefert das ARMIDILO-S Anhaltspunkte für die Behandlung und Betreuung von Personen mit Einschränkungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, indem Interventionsziele identifiziert werden. Dabei werden Hinweise auf systematische Strategien zur Verringerung von Risiko- und zum Ausbau von Schutzfaktoren gegeben. Das ARMIDILO-S ist nicht auf einen bestimmten Nachbeobachtungszeitraum ausgelegt, sondern ermöglicht durch eine fortwährende Prüfung kritische Indikatoren sowohl im Risikomanagement als auch im Behandlungsprozess im Blick zu behalten. Dies wird insbesondere durch den Aufbau des Instruments ermöglicht, welches sowohl stabil- als auch akut-dynamische Risikofaktoren des Probanden und seines (Entlassungs-)Umfelds mit 27 Items abfragt.
Die englischsprachige Originalversion des ARMIDILO-S (Boer, Tough & Haaven, 2004; Boer, Haaven, Lambrick, Lindsay, McVilly, Sakdalan & Frize, 2013) wurde in verschiedenen Studien hinsichtlich ihrer prädiktiven Aussagekraft überprüft und als Case-Management-Instrument positiv bewertet (Blacker, Beech, Wilcox & Boer, 2011; Lofthouse, Lindsay, Totsika, Hastings, Boer & Haaven, 2013). Mit diesem BM-Online-Band wird die offizielle deutsche Übersetzung des ARMIDILO-S für die praktische Anwendung zur Verfügung gestellt.
Der vorliegende Band enthält die deutsche Übersetzung der revidierten Version des Violence Risk Appraisal Guide (VRAG-R). Mehr als 20 Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Version des Violence Risk Appraisal Guide (VRAG) publizierten Grant T. Harris, Marnie E. Rice, Vernon L. Quinsey und weitere Kolleginnen und Kollegen im Jahr 2013 die revidierte Version des VRAG-R. In der Zwischenzeit wurde der VRAG das wohl am meisten genutzte und am besten wissenschaftlich untersuchte aktuarisch-statistische Prognoseinstrument für die Vorhersage gewalttätigen Verhaltens weltweit.
Ausgehend von zwei eigenen Studien, die 2014 und 2015 durchgeführt wurden, werden die Wirksamkeit sowie Verbesserungsoptionen der dezentralen Versorgungsstruktur der psychotherapeutischen Nachsorge entlassener Sexualstraftäter in Hessen diskutiert. Zur Evaluation der Wirksamkeit wurden anhand von Daten aus MESTA und dem BZR die Rückfallraten aus dem Strafvollzug entlassener Sexualstraftäter, die psychotherapeutische Nachsorge erhalten haben (n = 134), mit den Rückfallraten unbehandelter Sexualstraftäter verglichen (n = 134). In einem Nachbeobachtungszeitraum von mindestens zwei Jahren zeigt sich eine Reduktion des Rückfallrisikos durch psychotherapeutische Versorgung - dieser Effekt ist umso stärker, wenn bereits intramurale Therapien vorausgegangen sind. Ansatzpunkte für eine zusätzliche Qualitätssicherung des psychotherapeutischen Angebots werden aus einer Befragung von Therapeuten (n = 35) gewonnen.
Berichtet wird über neue Instrumente zur
Gefährlichkeitseinschätzung. Die Entwicklung valider statistischer
Prognoseinstrumente für Terrorismus und extremistische Gewalt ist
aufgrund der kleinen Basisgruppen extrem aufwendig und deshalb kaum
fortgeschritten. Prognosen mithilfe persönlicher Erfahrungen haben
demgegenüber nur geringe Vorhersagekraft. Das Instrument VERA-2 wurde
auf Grundlage einer Analyse von Fachliteratur und Experteninterviews in
Kanada entwickelt: 28 Faktoren, darunter auch protektive und
demographische Faktoren, werden in drei bzw. zwei Ausprägungen
bewertet, woraus sich eine Einschätzung des Gesamtrisikos ergibt.
Ergänzend wird die Erstellung einer individuellen Fallbeschreibung
empfohlen. Das von einem amerikanischen Psychologen entwickelte
Verfahren TRAP-18 unterscheidet zwei Gruppen von Indikatoren, deren
Vorliegen Warnhinweise sind und eine genauere Untersuchung des Falls
erfordern, ohne aus Zahlenwerten einen bestimmten Risikograd zu bilden.
Beide Instrumente fordern vom Anwender großes Fachwissen. Erläutert
wird zudem der Zusammenhang zwischen falsch-positiven und falsch-
negativen Prognosen.
Die ersten 25 Jahre ...
(2011)
Anlässlich des Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.11.2009 zur Sicherungsverwahrung wurde in einem Forschungsprojekt der Kriminologischen Zentralstelle e. V. untersucht, wie viele Probanden aus welchen Gründen und wann daraufhin tatsächlich entlassen wurden und ob allein infolge des Kammerurteils Entlassene rückfällig werden. Dazu wurden die Gefangenenpersonalakten all jener Personen analysiert, die aus der Unterbringung entlassen wurden und den Kriterien des Kammerurteils entsprochen haben (n = 84). Parallel dazu wurden Bewährungshelfer derjenigen Untergebrachten befragt, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen und nicht auf Grundlage des Therapieunterbringungsgesetzes erneut untergebracht worden sind (n = 59). Es zeigt sich, dass zunächst für 65 Probanden entweder die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt oder die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt wurde, davon für 19 unmittelbar in Folge des EGMR-Urteils. Es wird jedoch festgestellt, dass die Straßburger Rechtsprechung vergleichsweise selten zu Entlassungen ohne weitergehende Prüfung führte. Auch wurden im untersuchten Zeitraum keine neuerlichen Straftaten gemeldet, die weitere Unterbringungen erlaubt hätten.
In Anlehnung an entsprechende Vorschläge aus dem angloamerikanischen Raum (Hanson et al., 2017) wurden zur Risikoeinschätzung von Sexualstraftätern fünf kombinierte Static-99/Stable-2007 Risiko-/Bedürfnislevel-Kategorien gebildet, die - nach Erfassung des Ausgangsrisikos durch statische Risikofaktoren nach Static-99 - mithilfe der dynamischen Risikofaktoren des Stable-2007 die Vorhersagekraft der einzelnen Verfahren verbessern sollten. Die prädiktive Validität der kombinierten Anwendung wurde an einer Stichprobe von N = 705 wegen sexuell motivierter Delikte verurteilten Straftätern ermittelt, die zwischen dem 1.1.2002 und dem 31.7.2017 an der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter in Wien zur Erstellung von Vollzugsgutachten untersucht worden sind. Im Ergebnis wiesen die kombinierten Risikokategorien eine bessere Vorhersageleistung hinsichtlich des Rückfalls bei Sexualdelikten auf als der Static-99 Gesamtwert, der Stable-2007 Gesamtwert, die Static-99-Kategorien und die Stable-2007 Kategorien allein. Die Erhöhung um eine Risikokategorie ging etwa mit einer Verdoppelung der Rückfallrate für neuerliche Sexualdelikte einher. Die Anwendung der Static-99/Stable-2007 Risiko-/Bedürfnis-Kategorien für den deutschsprachigen Bereich wird empfohlen. Diese stellen hiernach gegenüber der alleinigen Anwendung von Static-99-Risikokategorien eine Verbesserung dar, die sich nicht nur auf eine Erhöhung der prädiktiven Validität bezieht, sondern auch auf eine bessere Fundierung der Prognose durch Einbeziehung individueller klinischer Merkmale und kriminogener Bedürfnisse durch den Stable-2007.
Nach einem kurzen Rückblick auf die Entstehungsgeschichte der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) als zentrale Forschungsstelle und Dokumentationseinrichtung des Bundes und der Länder für den Bereich der Strafrechtspflege werden Organisation und Aufgaben der KrimZ dargestellt. Neben der Dokumentation relevanter kriminologischer Literatur und Forschung sowie der Durchführung von Fachtagungen und Fortbildungsveranstaltungen besteht die Hauptaufgabe der KrimZ in der Durchführung praxisbezogener Forschungsvorhaben im Bereich von Kriminologie und Strafrechtspflege. Exemplarisch werden zwei Forschungsprojekte näher betrachtet. Zum einen das Projekt "Legalbewährung und kriminelle Karrieren von Sexualstraftätern" mit dem Forschungsziel der Ermittlung von Rückfallquoten und Risikomerkmalen und zum anderen das Projekt "Kooperation von öffentlicher Jugendhilfe und Strafjustiz bei Sexualdelikten gegen Kinder", das die Bereiche Opferschutz und Prävention im Rahmen von Sexualdelikten untersucht.
Es wird ein Gutachten des Kriminologen Rudolf Egg vorgestellt, welches für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss IV des Landtags Nordrhein-Westfalens im Hinblick auf die Geschehnisse in der Kölner Silvesternacht 2015/2016 erstattet wurde. Ziel des Gutachtens ist es, insbesondere die damals verübten Straftaten zu typisieren sowie einer allfälligen Organisationsstruktur der Täter nachzugehen. Hierfür wurden 1022 anonymisierte Strafanzeigen ausgewertet. Im Rahmen der Analyse der Strafanzeigen kommen nicht nur die verübten Delikte und deren statistische Verteilung zur Sprache, sondern unter anderem auch Ort sowie Zeit der Tatbegehung. Es wird gezeigt, dass die Opfer nur wenig zu einer hinreichenden Täterbeschreibung beitragen konnten. Vereinzelt wurden in den Strafanzeigen die Tätigkeit der Polizei sowie die Anzahl der anwesenden Beamten bzw. Beamtinnen thematisiert. Eine Absprache zur Tatbegehung unter allen Tätern wird allein schon ob ihrer Vielzahl als kaum wahrscheinlich eingeschätzt. Es wird vermutet, dass die massive Begehung von Eigentums- sowie Sexualdelikten in dem Gefühl der Täter, sie könnten in der Menschenmasse anonym agieren und man befinde sich in einem rechtsfreien Raum, ihre Grundlage hatte. Es wird darauf hingewiesen, dass für eine hinreichende Betrachtung der Vorfälle die Auswertung weiterer Datenquellen erforderlich ist, vor allem um darauf basierend präventive Maßnahmen zu ergreifen.
Die 2016 in Kraft getretene Novellierung des § 63 StGB hat zu einem Anstieg von kriminalprognostischen Gutachten geführt, so dass sich die Wartezeiten bzgl. der Erstellung von Gutachten verlängert haben. Dies wird auch auf die geringe Anzahl an Sachverständigen zurückgeführt, die aktuell für die Erstellung von Gutachten beauftragt werden. Es wird konstatiert, dass in einigen Regionen in Deutschland derzeit vorrangig oder sogar ausschließlich Fachärzte bzw. Fachärztinnen für Psychiatrie oder Ärzte bzw. Ärztinnen ohne Fachausbildung und teilweise ohne forensische Sachkunde und Erfahrung als Sachverständige bestellt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass dem Mangel an Sachverständigen durch die Bestellung approbierter Psychologischer Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen und Fachpsychologen bzw. Fachpsychologinnen für Rechtspsychologie begegnet werden kann. Die Ausbildung von Psychiatern bzw. Psychiaterinnen und Psychologen bzw. Psychologinnen im Bereich der forensischen Begutachtung wird vergleichend gegenübergestellt und rechtliche Aspekte der Gutachtenbeauftragung erörtert.
Untersucht wird der 2016 geltende bundesweite Ist-Stand der extramuralen Versorgungsstrukturen, in denen die aus dem Justizvollzug entlassenen oder zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Sexualstraftäter betreut und (weiter-)behandelt werden. Es werden 47 Einrichtungen ermittelt und zu folgenden Themen befragt: Merkmale ihrer Einrichtung, behandelte Personen, verwendete Behandlungstechniken, Anwendung standardisierter diagnostischer und kriminalprognostischer Verfahren und Qualitätsmanagement. 55,5 % der Einrichtungen wiesen keine institutionell-räumliche Anbindung an eine Justizvollzugsanstalt, Universitätsklinik oder Allgemeinpsychiatrie auf. Von den 2063 Klienten mit mindestens einem Face-to-Face-Kontakt waren der überwiegende Anteil (68,5 %) Sexualstraftäter, gefolgt von Gewaltstraftätern (26,5 %). Die Einrichtungen orientierten sich bei der therapeutischen Arbeit mehrheitlich am Risk-Need-Responsivity-Modell und dem Good-Lives-Modell. Kognitiv-behaviorale Therapiemethoden werden am häufigsten von den Einrichtungen eingesetzt (45,7 %). Ein Teil der Einrichtungen (24,2 %) gaben an, keine Eingangsdiagnostik zu verwenden. Kriminalprognostische Instrumente werden von 78,8 % der Einrichtungen eingesetzt. Abschließend werden Möglichkeiten und Grenzen ambulanter Nachsorge von Sexualstraftätern diskutiert.
Vorgestellt werden ausgewählte Ergebnisse einer umfangreichen empirischen Studie zur Praxis des Maßregelrechts, die von der Kriminologischen Zentralstelle durchgeführt wurde. Sie ermöglicht es, den Verfahrensgang anhand repräsentativer Stichproben von Strafverfahrensakten umfassend darzustellen. Die strafrechtliche Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) erfolgt zum größten Teil wegen schwerer Delikte gegen Personen, darunter Tötungsdelikte, Körperverletzungsdelikte, Sexualdelikte, Brandstiftungen und Raubdelikte. Knapp ein Drittel der aussetzungsfähigen Maßregeln wird primär zur Bewährung ausgesetzt. Im Vollstreckungsverfahren sind über zwei Drittel der Verurteilten nach der Rechtskraft der Bezugsentscheidung im Maßregelvollzug. Die Hälfte der Maßregelpatienten ist länger als vier Jahre dort; bei langfristiger Betrachtung sind es 13% mit Aufenthalten von mehr als zehn Jahren.
Die aktuelle Situation im psychiatrischen Maßregelvollzug nach § 63 StGB und die aktuell gültigen gesetzlichen Bestimmungen werden vorgestellt. Es werden die Zwecke, die der Gesetzgeber mit der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verfolgt, erörtert. Zudem wird die momentane Auslastung sowie die zahlenmäßige Bedeutung der Unterbringung beschrieben und konstatiert, dass ein beträchtlicher Anstieg der Anzahl der Maßregelpatienten und -patientinnen zu verzeichnen ist. Anschließend wird auf das Zustandekommen der Unterbringungsentscheidungen in der Praxis eingegangen und es werden Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Betroffenen aus einer unbefristeten Unterbringung im psychiatrischen Maßregelvollzug wieder entlassen werden können. Abschließend wird die Verweildauer im psychiatrischen Maßregelvollzug und die Legalbewährung im Anschluss an die Maßnahme thematisiert und zusammengefasst, dass die Belegung im psychiatrischen Maßregelvollzug derzeit so hoch ist wie nie zuvor und dass erst langfristig mit einer Veränderung zu rechnen ist.
Im Frühjahr 2007 ist das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung (BGBl. I 513) in Kraft getreten. Die wesentlichen Änderungen im Bereich der Führungsaufsicht werden vorgestellt und aus kriminologischer Sicht bewertet. Begrüßt wird die Intention des Gesetzgebers, die Führungsaufsicht zu vereinfachen und in der Praxis zu effektivieren. In Frage gestellt werden dagegen das Festhalten an der praktisch kaum relevanten Strafvorschrift des StGB § 145a, die empirisch nicht zu begründenden Sonderregelungen für Sexualstraftäter sowie Tendenzen, die Anwendung der Maßregel ohne Rücksicht auf die begrenzten Ressourcen auszuweiten. Nach hier vertretener Auffassung ist es aufgrund entsprechender Katamnesestudien grundsätzlich angemessen, unter engen Voraussetzungen auch die Möglichkeit einer unbefristeten Führungsaufsicht zu schaffen.
Obwohl nur ein kleiner Teil der Straftäter als „gefährlich" anzusehen ist, handelt es sich dabei doch um eine Gruppe, die als äußerst schwierig und problematisch gilt, nicht zuletzt deshalb, weil die von ihnen verübten Delikte häufig mit besonders schweren Folgen für die Opfer verbunden sind. Die Öffentlichkeit reagiert darum bereits auf einzelne derartige Kriminalfälle ausgesprochen sensibel und fordert bezüglich solcher Täter nachhaltig ein hohes Maß an Sicherheit und Opferschutz ein. Immer wieder zielen deshalb auch rechtspolitische Diskussionen und Gesetzesänderungen im Straf- und Strafvollzugsrecht auf diese Problemgruppe der Kriminalpolitik. Die vorgelegte Studie geht der Frage nach, ob es eine statistisch nicht zu vernachlässigende und damit kriminalpolitisch bedeutsame Tätergruppe gibt, die nach der bis zum 28.7.2004 geltenden bundesgesetzlichen Rechtslage trotz fortbestehender Gefährlichkeit in Freiheit entlassen werden musste und damit ein erhöhtes Risiko für die Allgemeinheit darstellt. Vor dem Hintergrund einer differenzierten strafrechtlichen Analyse werden die Resultate einer empirischen Untersuchung von Gewalttätern im hessischen Justizvollzug vorgestellt. In die Untersuchung einbezogen wurden 414 in den hessischen Justizvollzugsanstalten der Sicherheitsstufe I einsitzende Gewalttäter, die zu zeitiger Freiheitsstrafe verurteilt wurden und bei denen weder eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus noch eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Ziel der Untersuchung war es dabei nicht, für die einzelnen Gewalttäter anhand der erhobenen Daten eine individuelle Gefährlichkeitsprognose zu erstellen, sondern eine gruppenstatistische Aussage über das Ausmaß des vorhandenen Gefährlichkeitspotentials zu ermöglichen. Zwei Falldarstellungen ergänzen die quantitativ angelegte Analyse. Diskutiert werden anschließend Fragen des rechtlich und praktisch angemessenen und erforderlichen Umgangs mit gefährlichen Gewalttätern. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Frage der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, der alternative Lösungsansätze gegenübergestellt werden.
Es wird eine Übersicht zur Rechtsprechung des BVerfG zu verschiedenen Aspekten der Sicherungsverwahrung gegeben, wobei das Urteil vom 04.05.2011 (2 BvR 2365/10 u.a.; NJW 2011, 1931) zur Verfassungswidrigkeit der geltenden Rechtslage im Fokus steht. Dabei werden vor allem die Entscheidungsgründe sowie die Ausführungen des Gerichts zu den Anforderungen an eine verfassungskonforme Regelung dargestellt und kommentiert. Zudem wird die Rolle des Kammerurteils des EGMR vom 13.01.2011 (6587/04; EuGRZ 2010, 25) erörtert, in welchem ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die hier in Rede stehende Maßregel angenommen wurde. Anschließend werden die Prinzipien eines Gesamtkonzepts für die Sicherungsverwahrung, die Kritik an der gegenwärtigen Normierung sowie die nachträgliche Entfristung der Maßregel diskutiert. Weiter werden die verletzten Grundrechte und das Verhältnis von innerstaatlichem Recht und EMRK dargestellt. Erläutert werden insbesondere die Maßgaben des BVerfG für eine rückwirkende Anordnung oder Verlängerung der Sicherungsverwahrung, wobei speziell der Nachweis einer andauernden psychischen Störung betrachtet wird. Abschließend wird die Sanktionsentscheidung im Erkenntnisverfahren dargestellt.
Im deutschen Strafrecht haben kriminalprognostische Beurteilungen eine große Bedeutung und stellen einen wesentlichen Bestandteil der Aufgabenbereiche im Justiz- und Maßregelvollzug dar. In der Forschungsliteratur werden unterschiedliche methodische Zugänge zur Erstellung von Kriminalprognosen diskutiert, die sich in klinisch-intuitive, statistisch-aktuarische, klinisch-strukturierte sowie klinisch-idiographische Methoden gliedern lassen. Bisherige Studienergebnisse verdeutlichen die Vorzüge standardisierter Kriminalprognosen gegenüber der intuitiven unstrukturierten Urteilsbildung und verweisen auf die signifikant höhere Vorhersageleistung durch standardisierte Kriminalprognoseinstrumente. Der Einsatz aktuarischer sowie klinisch-strukturierter Prognoseinstrumente wird anhand 605 Prognosegutachten aus dem Zeitraum zwischen 1999 und 2016 in Abhängigkeit von Merkmalen des Gutachtens (Erstellungszeitpunkt, Institutionen, Profession Sachverständige/-r) sowie probandenbezogener Merkmale (Anlassdelinquenz, Diagnose, Inhaftierung bzw. Unterbringung) analysiert. Es zeigt sich trotz eines zunehmenden Einsatzes aktuarischer und klinisch-strukturierter Prognoseinstrumente im Zeitverlauf eine heterogene Anwendung in der kriminalprognostischen Begutachtungspraxis. Die Ergebnisse sprechen einerseits für eine zunehmende Standardisierung von Kriminalprognosen, andererseits für weiteren Handlungsbedarf im Hinblick auf die Qualitätssicherung klinischer Urteilsbildung in der Kriminalprognostik.
Die Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen : Dauer und Gründe der Beendigung im Jahr 2018
(2020)
In der seit über fünfzehn Jahren laufenden Erhebungsreihe der KrimZ zur Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe setzt das Berichtsjahr 2018 die Folge der Jahre fort, in denen vergleichsweise viele Vollzugsaufenthalte beendet und Gefangene aufgrund einer nachträglichen Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung entlassen wurden. Bei den Entlassenen handelt es sich häufig um Personen, die den Strafvollzug nach besonders langen Verbüßungszeiten in entsprechend höherem Lebensalter verlassen haben.
Von den 107 Personen, deren lebenslange Freiheitsstrafe im Jahr 2018 beendet wurde, wurden 76 nach Aussetzung des Strafrestes gem. § 57a StGB in Freiheit entlassen. Dies entspricht einem Anteil von 4,2 % der am Stichtag 31. März 2018 einsitzenden Gefangenen mit lebenslangen Freiheitsstrafen. Die Hälfte dieser Entlassenen hatte mehr als 17 Jahre im Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe verbracht. 13 Gefangene wurden ins Ausland ausgeliefert, ausgewiesen oder zur Vollstreckung der Strafe überstellt. 14 Personen verstarben während der Strafverbüßung.