Sachsen / Kriminologischer Dienst
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Soziale Beziehungen
(2019)
Untersucht werden die sozialen Beziehungen von Jugendstrafgefangenen (JSG) vor, während und nach ihrer Inhaftierung. Basierend auf Daten aus Zugangsfragebögen von 81,5 % aller Jugendstrafgefangenen (n = 1440), die im Zeitraum vom 01.01.2011 bis zum 31.12.2018 in die Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen zugegangen sind, wurden die sozialen Beziehungen der Jugendstrafgefangenen vor ihrer Inhaftierung erfragt. Erhoben wurden u.a. die familiären Verhältnisse der JSG, die für sie einflussreichsten Bezugspersonen, der innerfamiliäre Umgang mit Fehlverhalten der Jugendlichen sowie der Umgang mit delinquenten Freunden. Aus Abgangsfragebögen von Jugendstrafgefangenen (n = 1079), vor ihrer Entlassung oder Verlegung in eine andere Anstalt, wurden Veränderungen des Verhältnisses der JSG zu Personen ihres sozialen Umfeldes während der Haft erhoben. Außerdem wurde gefragt, wie die Jugendlichen selbst und der Sozialdienst das Verhältnis zu diesen Personen nach Entlassung einschätzt. Auch wenn die Antworten sehr heterogen ausfielen, zeigt sich, dass sich die sozialen Beziehungen in der Wahrnehmung der JSG eher verschlechtert haben. Häufig zeigt sich der Wunsch, während der Haft mehr Unterstützung durch das soziale Umfeld zu erfahren. Nach Schätzung des Sozialdienstes, der nur eine Teilgruppe der Jugendlichen betraf, stehen nur für die Hälfte der Jugendlichen förderliche soziale Beziehungen für die Zeit nach der Haft als Ressource zur Verfügung. Aus den Ergebnissen ergeben sich Hinweise für fördernde und unterstützende Maßnahmen im Jugendstrafvollzug vor allem hinsichtlich der Beziehungsgestaltung.
Im ersten Teil einer Analyse der 2015 in der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen eingeführten Modularen Behandlung wird ein Überblick über die Implementierung der modularisierten Interventionsangebote gegeben. Jugendstrafgefangenen, insbesondere denen mit kürzerer Haftdauer, soll mit den Modulen eine individualisierte Behandlung ermöglicht werden. Die Module umfassen Themen wie 'Starter', 'Grundfertigkeiten der allgemeinen Lebensbewältigung', 'Lebensperspektiven' sowie verschiedene Angebote aus dem Bereich 'Gewalt/Aggressivität'. Im Ergebnis wird festgestellt, dass mit der Einführung der Modularen Behandlung die Angebote an Gruppenmaßnahmen differenzierter angeboten werden können. Die benötigten Ressourcen werden durch eine statistische Auswertung der individuellen Bedarfsfeststellungen deutlich gemacht. Für die meisten Jugendstrafgefangenen werden mehrere Bedarfe dokumentiert und die meisten Jugendstrafgefangenen nehmen an einer bis mehreren Gruppenmaßnahmen teil. Nach Einschätzung der Leiter der Gruppenmaßnahmen wirken die Maßnahmen auf die Teilnehmer positiv bis sehr positiv.
Um Maßnahmen der Qualifizierung und Beschäftigung von Strafgefangenen zielgerichtet einsetzen zu können, müssen zunächst die Voraussetzungen der Inhaftierten festgestellt und hieraus Bedarfe abgeleitet werden. Um die Bedarfe an Qualifizierungsmaßnahmen im sächsischen Vollzug zu bestimmen, wurde Februar bis August 2018 eine Erhebung in acht Justizvollzugsanstalten durchgeführt. In Vollzugsplankonferenzen wurde mit 1053 Inhaftierten ein Erhebungsbogen zu Schul- und Berufsabschlüssen der Inhaftierten sowie Maßnahmen in der aktuellen Haftsituation erhoben. Weiter wurden Gründe für Nichtbeschäftigung und den Abbruch von Maßnahmen erfasst. Abgefragt wurden darüberhinaus Einschätzungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Arbeitsmarkt- und Ausbildungstauglichkeit sowie der Inhaftierten zur erlebten Sinnhaftigkeit der Maßnahmen. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen einige Bedingungen und Merkmale von Inhaftierten auf, die bei der Planung eines Angebotes von Qualifizierungs- und Arbeitsmaßnahmen im Justizvollzug relevant sind. Auf Grundlage der erhobenen Daten wird u.a. empfohlen, für die meisten Maßnahmen im Vollzug keine höhere Schulbildung als einen Hauptschulabschluss vorauszusetzen. Auch sollte ein Großteil der Angebote modular oder von kurzer Dauer sein, damit auch Inhaftierte mit kurzer Haftdauer davon profitieren können. Zusätzlich besteht ein erheblicher Bedarf an Maßnahmen für Inhaftierte, die nicht arbeitsmarkt-oder ausbildungstauglich sind.
Suizidalität und Suizidgefahr bei Inhaftierung werden seit Anfang 2011 in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitlingen im Rahmen der Zugangsdiagnostik über einen "Fragebogen zur Beurteilung der Suizidgefahr" (FBS) erfasst. Ausgewertet wurden n=1188 Testbögen von Jugendstrafgefangenen, die zwischen dem 01.01.2011 und 31.3.2016 in die Jugendstrafanstalt gekommen sind. Im Ergebnis zeigen die meisten Jugendstrafgefangenen keine erhöhte Suizidalität. Bei mehr als jedem zwanzigsten jedoch wurde eine starke oder besonders starke Suizidalität getestet. Als Risikofaktoren für erhöhte FBS-Werte konnten niedriger Selbstwert, Suchtproblematik, mangelnde soziale Beziehungen und psychische Beeinträchtigung identifiziert werden. Im (Jugend-)Strafvollzug werden Kennzeichnungen und standardisierte Hinweise verwendet, wenn auf bestimmte (Jugend-)Strafgefangene im Vollzug besonders geachtet werden soll. So bezeichnet die Kennzeichnung "GM" das Vorhandensein von Risikofaktoren, "S" kennzeichnet eine bestehende akute Suizidgefahr. Untersucht wurden Kennzeichnungen und Hinweise zu denjenigen Jugendstrafgefangen, die am 6.6.2016 inhaftiert waren oder die Jugendstrafanstalt zwischen dem 6.6.2014 und dem 6.6.2016 verlassen haben (n=599). Während "GM"-Kennzeichnungen mit erhöhten FBS-Werten aus der Zugangstestung korrelierten, zeigen Jugendstrafgefangene, die im Laufe ihrer Haft akute Suizidalität entwickeln, im FBS kaum erhöhte und keine starken Suizidalitätswerte. Akute Suizidalität in Haft kann daher durch FBS-Testung nicht vorhergesagt werden. Die Ergebnisse der FBS-Testung weisen jedoch auf Auffälligkeiten der jugendlichen Strafgefangen hin und können als Grundlage für Gesprächsangebote sowie für niederschwelligere Präventionsmaßnahmen genommen werden.
Studie „Gewalt im Gefängnis“
(2017)
Untersucht werden Gewaltvorkommnisse in sächsischen Justizvollzugsanstalten (JVAen). Ziel ist es, diese zu dokumentieren, zu beschreiben und Prädiktoren von Gewalt im Vollzug zu ermitteln. Für die Untersuchung wurden von Mai 2010 bis April 2014 Gewaltvorkommnisse innerhalb sächsischer JVAen systematisch erhoben: Merkmale zu der Tat selbst sowie Merkmale zu jeder direkt beteiligten Person, ergänzt durch Daten aus dem EDV-System des Justizvollzugs. Die Ergebnisse beschreiben u.a. die Anzahl der Taten und beteiligten Personen, die Taten selbst (Formen ausgeübter Gewalt und Tatmittel, Ort der Gewaltvorkommnisse), die Folgen für die beteiligten Inhaftierten sowie Täter-Opfer-Konstellationen. Zur Bestimmung möglicher Prädiktoren, die mit der Häufigkeit des Aufkommens von Gewalt - ob als Täter, Opfer oder als Beteiligter - korrelieren, werden alle Inhaftierten, die im Beobachtungszeitraum in sächsischen JVAen inhaftiert waren, betrachtet. Hiernach zeigt sich, dass Gewaltausübung und Gewalterfahrung nur eine Minderheit der Inhaftierten direkt betreffen. Als Merkmale, die statistisch für eine höhere Wahrscheinlichkeit von Gewalttäterschaft in Haft sprechen, wurden u.a. identifiziert: niedriges Alter, Gewaltdelikte als Anlassdelikt, Vermerk des medizinischen Dienstes der JVA „Einzelunterbringung erforderlich“, nicht-deutsche Staatsangehörigkeit. Folgende Merkmale stehen u.a. für eine statistisch höhere Wahrscheinlichkeit, in Haft Opfer von Gewalt zu werden: niedriges Alter, Sexualdelikt, Erstinhaftierung, niedrige Körpergröße, Vermerk „Einzelunterbringung erforderlich“ durch den Medizinischen Dienst. Abschließend werden Anregungen für Maßnahmen gegen Gewalt im Vollzug gegeben.
Der Jugendstrafvollzug kann auf verschiedenen Ebenen (z. B. situatives Verhalten, gefestigte Bindungen, Legalbewährung) Einfluss auf das inhaftierte Klientel nehmen. Untersucht wird mit Hilfe der Eintragungen im Bundeszentralregister die Rückfallrate von N = 875 Jugendstrafgefangenen (JSG), die ab 2011 in der sächsischen Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen inhaftiert und zwischen 2013 und 2018 entlassen worden sind. Insgesamt werden bei einem dreijährigen Beobachtungszeitraum nach Entlassung ca. 70 % der JSG erneut verurteilt. Folgende Faktoren deuten auf höhere Rückfallraten und/oder schnelleren Rückfall hin: (1) Entlassung zum Strafende (statt zur Bewährung), (2) jüngeres Alter, (3) Suchtmittelproblematik, (4) höher eingeschätztes Rückfallrisiko durch den Sozialdienst bzw. den Jugendlichen selbst und (5) Ablehnung und Abbruch von Behandlungsmaßnahmen. Einschlägig rückfällig werden Straftäter insbesondere bei materiellen Delikten (z. B. Diebstahl, Betrug). Das Vorhandensein eines Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz wirkt sich nicht präventiv auf einen Rückfall aus. Es wird darauf hingewiesen, dass – vom Jugendstrafvollzug unabhängige – Drittvariablen auf die Rückfälligkeit der JSG Einfluss nehmen.
Seit 2011 wird die Jugendstrafvollzugsanstalt (JSA) Regis-Breitingen vom Kriminologischen Dienst Sachsen evaluativ begleitet. Vorgestellt werden Veränderungen der letzten zehn Jahre hinsichtlich (1) der Klientel der Jugendstrafgefangenen (JSG), (2) der Bediensteten und (3) der COVID-19-Pandemie. Der demographische Wandel unter den JSG führte zu sinkenden Inhaftiertenzahlen, was die Zuständigkeit der JSA auf junge Verurteilte nach Erwachsenenstrafrecht und Personen in Untersuchungshaft ausweitete. Zudem steigt der Anteil der JSG mit Migrationshintergrund an. Weiter lässt sich feststellen, dass mehr JSG Drogenproblematiken haben, Heim- oder Psychiatrieerfahrungen gemacht haben und mehr Disziplinarmaßnahmen während der Haftzeit erhalten. Hinsichtlich der Bediensteten wird ein Personalabbau in fast allen Bereich (z. B. Allgemeiner Vollzugsdienst, Psychologischer Dienst) konstatiert. Die COVID-19-Pandemie führte einerseits zu Aussetzungen von Strafantritten, andererseits wurden u. a. Besuche, externe Beratungs- und Behandlungsangebote, Arbeit- und Ausbildungsmaßnahmen und stationsübergreifende Angebote eingeschränkt.
Es wird der Fall eines Sicherungsverwahrten geschildert, der die Hälfte seines Lebens in Haftanstalten oder Einrichtungen des Maßregelvollzugs verbracht hat. Die Kasuistik dient als Beispiel für einen milden Fall innerhalb der Klientel der Sicherungsverwahrten, zeigt aber gerade dadurch, wie schwierig sich die Umsetzung der vom BGH geforderten Behandlungs- und Entlassungsperspektiven in der Realität gestaltet.
Im sächsischen Strafvollzug wird ein Anstieg der Anzahl von Strafgefangenen, die 60 Jahre und älter sind, verzeichnet - ein Trend, der sich bundesweit in Justizvollzugsanstalten zeigt. Vorgestellt werden ausgewählte Ergebnisse einer schriftlichen Befragung dieser Gefangenengruppe im sächsischen Strafvollzug sowie von Interviews mit Vollzugsmitarbeitern. Von den 65 zum festgelegten Stichtag 11.01.2010 im sächsischen Vollzug Einsitzenden im Alter von über 60 Jahren nahmen 48 an der Befragung teil. Anhand eines Fragebogens wurden die Teilnehmenden zu ihren familiären Verhältnissen, ihren sozialen Kontakten, ihrem Gesundheitszustand und ihren Vorstellungen hinsichtlich der Zeit nach der Entlassung aus dem Strafvollzug befragt. Darüber hinaus wurden mit einigen Gefangenen Gespräche geführt, um zusätzliche Informationen zu erhalten. Im Fokus stand die Frage, welche spezifischen Problemfelder diese Gefangenengruppe aufweist und wie diesen im Rahmen der Entlassungsvorbereitung oder eines Übergangsmanagements begegnet werden kann. Im Ergebnis zeigt sich eine sehr heterogene Gruppe von Inhaftierten, die sich in Strataten und Vorbelastungen unterscheiden. Vielen gelingt es, während der Inhaftierung regelmäßigen Kontakt zu ihrem sozialen Umfeld zu halten. Die meisten Befragten werden nach der Entlassung einen festen Wohnort haben und auch über eine ausreichende finanzielle Grundsicherung verfügen. Drogen- und Alkoholproblematiken spielen bei der untersuchten Altersgruppe keine bzw. kaum eine Rolle. Es gibt jedoch eine Gruppe älterer Gefangener, die weder über gefestigte soziale Kontakte noch über einen eigenen Wohnraum für die Zeit nach der Entlassung verfügen. Auf Implikationen der Ergebnisse für die Frage der Entlassungsvorbereitung bzw. des Übergangsmanagement wird hingewiesen.
Im Rahmen einer Totalerhebung wurden die im Zeitraum 01.01.2000 bis zum 31.12.2019 in deutschen Justizvollzugsanstalten begangenen Suizide erhoben. Insgesamt liegen für den Erhebungszeitraum knapp 1550 dokumentierte Suizide vor. Die bis 2018 vom Kriminologischen Dienst Niedersachsen durchgeführte Erhebung wurde für 2019 durch den Kriminologischen Dienst Sachsen fortgeführt. Im Fokus der vorliegenden Untersuchung stehen weibliche Suizidentinnen. Das Suizidrisiko von Frauen wird nach den Ergebnissen durch eine Inhaftierung stärker erhöht als das der Männer. Im Vergleich der Merkmale männlicher und weiblicher Strafgefangener wie Alter, Delikt, Vorinhaftierung, Drogenproblematik sowie Haftart und Zeitraum in Haft wurden geschlechtsspezifische Unterschiede herausgearbeitet. Diese geben wichtige Hinweise für die Suizidprävention bei inhaftierten Frauen. Die Risikofaktoren zeigen, wie und wann Behandlungsteams mit vermehrter Aufmerksamkeit schauen und reagieren müssen. Sie sind Indikatoren für größere Probleme bei der Bewältigung von schwierigen Lebensanforderungen, die zu einer späteren Suizidalität führen können.