Strafrecht. Strafverfolgung. Sanktionen
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Die Beantwortung der Frage nach Anspruch und Wirklichkeit des Legalitätsprinzips rührt am Grundverhältnis von Effizienz und Gerechtigkeit der Strafrechtspflege und ist damit von hoher kriminalpolitischer Relevanz. Die Kriminologische Zentralstelle veranstaltete vom 15. bis 16. März 1999 im großen Sitzungssaal des Hessischen Justizministeriums ein Expertengespräch zum Thema „Das Ermittlungsverhalten der Polizei und die Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften“. Ziel der Veranstaltung war es, aus verschiedenen Perspektiven einen vertieften Einblick in die komplexe Rechtswirklichkeit des Legalitätsprinzips und in die reale Aufgabenwahrnehmung von Polizei und Staatsanwaltschaften zu ermöglichen. Darüber hinaus sollte ein Forum für eine kritische Diskussion geboten und zugleich die weitere wissenschaftliche Behandlung des Themas erörtert werden. Der vorliegende Band enthält die überarbeiteten Beiträge zu diesem Expertengespräch sowie einen ausführlichen Diskussionsbericht.
Das am 10.03.2017 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen hat das Ziel, den Opfern von Stalking eine bessere Strafverfolgung zu ermöglichen, indem der bislang geltende Tatbestand der schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers nicht mehr erforderlich ist. Mit dem neuen Gesetz ist es ausreichend, wenn das Täterverhalten dazu geeignet ist, die Lebensgestaltung des Opfers schwerwiegend zu beeinträchtigen. Zur Evaluation der geänderten Gesetzgebung werden drei Jahre nach Einführung der Gesetzesänderung die Justizverwaltungen der Länder sowie acht Opferschutzverbände postalisch befragt, wobei n = 15 Landesjustizverwaltungen und n = 5 Opferschutzverbände geantwortet haben. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Gerichte und Staatsanwaltschaften mehrheitlich aufgrund der gesetzgeberischen Änderungen eine erleichterte Beweisführung bei der Anwendung des § 238 StGB und die Möglichkeit eines frühzeitigen strafrechtlichen Einschreitens feststellen. Die weiterhin bestehende Problematik der unbestimmten Rechtsbegriffe (z. B. schwerwiegend, beharrlich) wird hervorgehoben. Zudem wird auf erhebliche praktische Probleme bei der strafrechtlichen Verfolgung von Stalking hingewiesen (z. B. fehlende Dokumentation von Seiten der Opfer, Verschleierung der Tathandlungen im Internet von Seiten der Täter/-innen, Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen). Einstellungsgründe bei Verfahrenserledigung werden diskutiert. Die Opferschutzverbände kritisieren Ermittlungsbehörden dahingehend, dass sie die betroffenen Personen nicht ernst nehmen. Zudem wird die hohe Einstellungszahl bei Ermittlungsverfahren, die lange Ermittlungsdauer und die Strafhöhe moniert. Weitere Verbesserungsvorschläge werden abschließend diskutiert.
Das Verhältnis von Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei wird sowohl historisch als auch gegenwartsbezogen dargestellt, wobei insbesondere der Status der Staatsanwaltschaft diskutiert wird. Ein europäischer Überblick wird gegeben. Das Verhältnis von Justiz und Polizei wird hinsichtlich ausgewählter Kriminalitätsfelder, verschiedener beruflicher Kooperationsfelder und ausgewählter Alltagssituationen dargestellt. Strukturelle Probleme bei der Zusammenarbeit wie die Verlagerung des Schwerpunktes der Ermittlung auf die Polizei und Defizite bei einer effektiven richterlichen Kontrolle staatlicher Eingriffsbefugnisse (Richtervorbehalte) werden benannt. Ursachen werden v. a. in einer ungleichen Ressourcenverteilung (u. a. Personal, IT-Standard) von Justiz und Polizei zum Nachteil der Justiz gesehen. Die Einsetzung eines Untersuchungsrichters wird diskutiert, aber von der Kommission abgelehnt. Konkurrenzkonflikte werden hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Medien benannt und in diesem Zusammenhang ein Professionalitätsgefälle zwischen Polizei und Justiz zum Nachteil der Justiz festgestellt. Es wird u. a. eine stärkere Einbindung der Staatsanwaltschaft in das Ermittlungsverfahren, eine bessere Ressourcenausstattung der Justiz und die Sachherrschaft im Hinblick auf die Medieninformation gefordert.
Mit dem am 10. November 2016 in Kraft getretenen 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung (50. StrÄndG) wurde vorrangig § 177 StGB grundlegend geändert. In der zuvor geführten Diskussion war eine zentrale Frage diejenige nach bestehenden Strafbarkeitslücken, also straffreien, aber als strafwürdig erachteten Sachverhalten, gewesen. Eine solche Schutzlücke wurde primär darin gesehen, dass keine Strafbarkeit nach § 177 StGB a. F. eintrat, wenn es zwar zu sexuellen Handlungen gegen den Willen Betroffener kam, dies aber ohne Nötigung durch eine andere Person geschah.
Das Gesetzgebungsverfahren enthielt nicht nur etliche kriminalpolitisch interessante Volten. Es zeigte auch auf, dass sich die eine oder andere bloße Annahme über die Zeit zu vermeintlicher Gewissheit verfestigte, ohne dass dieser empirisch-kriminologische Befunde zugrunde lagen. Das galt etwa hinsichtlich der Gründe für Einstellungen gemäß § 170 II StPO in Ermittlungsverfahren, in denen Tatverdächtigen die Begehung einer Straftat nach § 177 StGB a. F. vorgeworfen wurde.
Mit der vorliegenden Studie wurde diese Thematik deshalb aufgriffen. Da sich die dafür erhaltenen 343 Einstellungsverfügungen jedoch als zu ertragreich erwiesen, um sie lediglich unter der führenden Fragestellung zu analysieren, wurden nicht nur diese Abschlussentscheidungen als solche, sondern auch die in ihnen enthaltenen Angaben etwa zum Tatgeschehen und zu den vorgenommenen Ermittlungshandlungen erfasst.