Forensische Psychologie, Psychiatrie. Kriminalprognose
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Die vorgestellte Studie untersucht die Rückfallrate von männlichen Personen mit hohem Rückfallrisiko, die wegen eines Sexualdelikts verurteilt wurden. Aus der anfänglichen Stichprobe, bestehend aus N = 231 Person, werden n = 133 Probanden in der Untersuchung berücksichtigt. Die Untersuchungsteilnehmer wurden zum 31. Dezember 2019 entlassen und werden bzw. wurden in der Forensisch Therapeutischen Ambulanz der Charité in Berlin ambulant behandelt. Von den 133 Probanden erhalten 54 (40,6 %) sowohl eine psychotherapeutische als auch eine testosteronsenkende Medikation (Gruppe +TLM), 79 (59,4 %) werden lediglich psychotherapeutisch behandelt (Gruppe -TLM). Der Beobachtungszeitraum beträgt fünf Jahre. Die Rückfälligkeit wird als general recidivism (Neuverurteilung allgemein), serious recidivism (Neuverurteilung mit anschließender Haftstrafe von mindestens zwei Jahren), sexual recidivism (Neuverurteilung infolge von Sexualdelikten) und violent recidivism (Neuverurteilunge infolge von Gewalt- und Sexualdelikten) erhoben. Es wird konstatiert, dass die Rückfallrate bezüglich general recidivism bei +TLM mit 27,8 % signifikant niedriger ist als bei -TLM mit 51,9 %. Bei serious recidivism liegen keine signifikanten Unterschiede vor. Signifikante Unterschiede liegen weiterhin in der Kategorie violent recidivism vor (1,9 % bei + TLM und 15,2 % bei -TLM), während die Unterschiede bei sexual recidivism nicht signifikant sind. Weitere Ergebnisse werden vorgestellt und Limitationen der Studie diskutiert.
Mittels eines systematischen Literaturreviews wird der aktuelle Forschungs- und Entwicklungsstand von Instrumenten der Risiko- und Gefahrenbewertung für gewalttätige Extremisten und Extremistinnen vorgestellt. Insgesamt wurden n = 22 wissenschaftliche Untersuchungen aus einer anfänglichen Stichprobe von N = 2.295.414 Fachaufsätzen in das Review aufgenommen. Untersucht werden: (1) das Violent Extremism Risk Assessment, Version 2–Revised (VERA-2R), (2) das Terrorist Radicalization Assessment Protocol (TRAP-18), (3) die Extremism Risk Guidelines 22+ (ERG 22+), (4) die Multi-Level Guidelines Version 2 (MLG), (5) die Islamic Radicalization (IR-46), (6) das Structured Assessment of Violent Extremism (SAVE), (7) das Radicalization Awareness Network Center of Excellence Returnee 45 (RAN CoE Returnee 45), (8) die regelbasierte Analyse potentiell destruktiver Täter zur Einschätzung des akuten Risikos—islamistischer Terrorismus (RADAR-iTE) und (9) die Investigative Search for Graph-Trajectories (INSiGHT). Es wird festgestellt, dass alle Instrumente für den Einsatz in Sicherheitsbehörden, der Bewährungshilfe und dem Strafvollzug entwickelt wurden. Bei den meisten Instrumenten, die für ein spezifisches Extremismus-Phänomen konzipierten wurden, liegt der Fokus auf islamistische Bedrohungslagen. Kritisiert wird, dass in den untersuchten Publikationen Information zu den psychometrischen Eigenschaften der Instrumente entweder nur unzureichend vorliegen oder gänzlich fehlen. Weitere Ergebnisse werden vorgestellt sowie Limitationen der Studie diskutiert.
Die 2016 in Kraft getretene Novellierung des § 63 StGB hat zu einem Anstieg von kriminalprognostischen Gutachten geführt, so dass sich die Wartezeiten bzgl. der Erstellung von Gutachten verlängert haben. Dies wird auch auf die geringe Anzahl an Sachverständigen zurückgeführt, die aktuell für die Erstellung von Gutachten beauftragt werden. Es wird konstatiert, dass in einigen Regionen in Deutschland derzeit vorrangig oder sogar ausschließlich Fachärzte bzw. Fachärztinnen für Psychiatrie oder Ärzte bzw. Ärztinnen ohne Fachausbildung und teilweise ohne forensische Sachkunde und Erfahrung als Sachverständige bestellt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass dem Mangel an Sachverständigen durch die Bestellung approbierter Psychologischer Psychotherapeuten bzw. Psychotherapeutinnen und Fachpsychologen bzw. Fachpsychologinnen für Rechtspsychologie begegnet werden kann. Die Ausbildung von Psychiatern bzw. Psychiaterinnen und Psychologen bzw. Psychologinnen im Bereich der forensischen Begutachtung wird vergleichend gegenübergestellt und rechtliche Aspekte der Gutachtenbeauftragung erörtert.
Untersucht wird der Zusammenhang zwischen einem Heimaufenthalt in der Kindheit und dem aktuellen Rückfallrisiko für erneute Sexualstraftaten sowie ob der Zusammenhang durch potenziell traumatisierende Kindheitserfahrungen (sexueller Missbrauch, körperliche Misshandlung, emotionale Vernachlässigung) vermittelt wird. Die Stichprobe setzt sich aus N = 159 männlichen Sexualstraftätern zusammen, die zwischen 2010 und 2018 in der Sozialtherapeutischen Anstalt Hamburg inhaftiert waren. Die verwendeten Daten basieren auf Akteninformationen (u. a. Urteil, Bundeszentralregisterauszüge, Gutachten) und semistrukturierten Interviews. Die Gruppe mit einem Heimaufenthalt in der Kindheit wies einen niedrigeren sozioökonomischen Status, mehr familiäre Risikofaktoren sowie eine frühere und stärker delinquente Entwicklung auf. Zudem erzielte sie ein höheres Rückfallrisiko. Für das stabil-dynamische, nicht jedoch für das statische Rückfallrisiko wurde dieser Zusammenhang durch den kumulativen Effekt der Anzahl unterschiedlicher potenziell traumatisierender Kindheitserfahrungen vermittelt. Dies deutet darauf hin, dass ein erheblicher Anteil von inhaftierten Sexualstraftätern, die negativen Kindheitserfahrungen ausgesetzt und im Kinderheim untergebracht waren, ein höheres Rückfallrisiko aufweisen und im Erwachsenenalter einer besonderen Betreuung und Kontrolle bedürfen.
Vor dem Hintergrund der Veröffentlichung von "Mindestanforderungen an Prognosegutachten" in 2006 wird untersucht, inwieweit diese in der Praxis bei der Erstellung prognostischer Gutachten über Gewalt- und Sexualstraftäter umgesetzt werden und sich seither die Gutachtenqualität gemessen an der Trefferquote der prognostischen Entscheidungen verbessert hat. Dazu werden Prognosegutachten über Gewalt- und Sexualstraftäter aus der JVA Freiburg und der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der LMU München (N = 502) aus 1999 bis 2002 und 2008 bis 2011 analysiert und günstig gerichtete Prognosegutachten mit Ergebnissen aus dem Bundeszentralregisterauszug (Stand Juni 2016) validiert. Es zeigt sich, dass die Mindestanforderungen im Gegensatz zur universitären Institution in der externen gutachterlichen Praxis nur teilweise berücksichtigt werden. Die Einhaltung der Mindestanforderungen steht in positivem Zusammenhang mit der prognostischen Trefferquote günstig gerichteter Prognosegutachten. Die Ergebnisse werden diskutiert, auf weiteren Handlungsbedarf bei der gutachterlichen Qualitätssicherung verwiesen und Einschränkungen der Studie angeführt.
Der intuitive, statistische und klinisch-idiographische Ansatz bei der Erstellung kriminalprognostischer Gutachten und Stellungnahmen werden gegenübergestellt. Zunächst wird die Überlegenheit statistischer Vorhersagen im Vergleich zu intuitiven Urteilen thematisiert, die als das am häufigsten replizierte Ergebnis der humanwissenschaftlichen Prognoseforschung gelten. Zentrale Ergebnisse dieses Forschungsfeldes werden dargestellt, um ihre Relevanz für die Kontroverse um die Qualität von Prognosegutachten (und anderen kriminalprognostischen Expertisen) zu diskutieren. Die bisher vorliegenden Ergebnisse sprechen für die Stärken statistisch-aktuarischer Erkenntnisse bei der Erstellung kriminalprognostischer Gutachten und machen sie zu einem unverzichtbaren Werkzeug für eine wissenschaftlich fundierte methodische Vorgehensweise im Rahmen kriminalprognostischer Einschätzungen. Auf Begrenzungen der statistisch-aktuarischen Methode wird eingegangen und daher ein klinisch-idiographisches Vorgehen unter Anwendung wissenschaftlicher Standards als unabdingbar erachtet.
Diskutiert wird der aktuelle Forschungsstand über die Risikoeinschätzung und das Risikomanagement bei Sexualstraftätern bzw. Sexualstraftäterinnen in Deutschland. Es wird konstatiert, dass der überwiegende Teil der in Deutschland angewendeten Methoden empirisch fundiert ist. Nach hier vertretener Ansicht sind sogenannte aktuarische Risikobewertungsinstrumente (ARIs) und Instrumente der strukturierten professionellen Risikobeurteilung (SPJs) die bedeutsamsten methodischen Ansätze im aktuellen forensisch-psychologischen Diskurs. Die wichtigsten Instrumente beider Ansätze wurden für den deutschsprachigen Raum bereits übersetzt und kreuzvalidiert. Da das standardisierte Verfahren von ARIs keine Erfassung von idiografischen Merkmalen zulässt, die für die Einschätzung des Risikos sowie für das Risikomanagement im Einzelfall essenziell sind, haben sich in Deutschland vor allem SPJ-Verfahren durchsetzen können. Es wird konstatiert, dass in der letzten Dekade ein Zuwachs an (verpflichtenden) Behandlungsangeboten für entlassene Sexualstraftäter/-innen zu verzeichnen ist, was zu einem erheblichen Rückgang der Rückfälle geführt hat. Abschließend wird das Präventionsprojekt Dunkelfeld (PPK) vorgestellt, das Personen, die sich selbst als pädophil identifizieren, präventive Behandlungsmaßnahmen ermöglicht.
Ziel der Studie ist es zu überprüfen, ob Viktimisierungserfahrungen von sexuellem Missbrauch in der Kindheit (unter 16 Jahren) und frühe, nicht missbräuchliche sexuelle Erfahrungen und Verhaltensweisen (z. B. Masturbationsverhalten) mit der Entstehung pädosexueller Neigungen bei Männern zusammenhängen. Zu diesem Zweck werden biografische Daten von N = 223 aus Österreich stammenden Sexualstraftätern untersucht, die aufgrund sexueller Übergriffe gegen Kinder zwischen 2000 und 2008 zu einer Haftstrafe verurteilt wurden. Es wird konstatiert, dass eigene Viktimisierungserfahrungen mit der Entstehung pädosexueller Neigungen im späteren Lebensverlauf korrelieren. Nach hier vertretener Ansicht kann dies in einigen Fällen damit erklärt werden, dass im Zuge der Verarbeitung eigener Opfererfahrungen sich Sex mit Kindern zu einer für das Individuum akzeptablen Fantasie entwickelt. Bezüglich eigener Viktimisierungserfahrungen ist die Rate bei Männern, die von einer ausschließlich pädophilen Paraphilie betroffen sind, dreimal höher als bei Männern ohne pädophile Paraphilie. Darüber hinaus geht aus der Untersuchung hervor, dass die wöchentliche Masturbationsrate während der Pubertät und nicht missbräuchliches Sexualverhalten Indikatoren für pädosexuelle Paraphilien und für Rückfälligkeit darstellen. Männer, bei denen eine ausschließlich pädophile Paraphilie vorliegt, zeigen die höchste Rate an frühen sexuellen Erfahrungen und Verhaltensweisen. Abschließend werden Limitationen der Studie diskutiert.
Einschätzungen über das Risiko zukünftiger Gewalttätigkeit sind ein fester Bestandteil der Arbeit von Psychologinnen und Psychologen, wobei bis heute wenig darüber bekannt ist, in welcher Form kriminalprognostische Einschätzungen in der alltäglichen Berufspraxis vorgenommen werden. Ziel der vorliegenden Studie ist es, einen Überblick über die kriminalprognostische Praxis in Deutschland zu geben. Dafür werden die Ergebnisse des International Risk Surveys ausgewertet, an dem weltweit N = 2.135 Personen aus 44 Ländern teilgenommen haben. Aus Deutschland wurden M = 97 Psychologinnen und Psychologen sowie Angehörige anderer Berufsgruppen über ihre kriminalprognostischen Tätigkeiten befragt. Die Daten zeigen, dass mittlerweile in der Praxis mehrheitlich auf standardisierte Prognoseinstrumente (z. B. PCL-R, HCR-20, FOTRES, VRAG) zurückgegriffen wird. Die Instrumente werden nicht nur für die prognostische Einschätzung über das zukünftige Gewaltrisiko als nützlich eingestuft, sondern auch im Hinblick auf die Therapieindikation sowie die verlaufsdiagnostische Untersuchung von Behandlungs- und Betreuungsfällen als hilfreich beurteilt.
Es wird eine Studie präsentiert, in der die psychodynamisch begründete Perversionstheorie von Robert D. Stoller (1979) empirisch überprüft wird. Nach Stoller können nach (früheren) traumatischen Erfahrungen aggressive Impulse in sexuell deviante Fantasien transformiert werden. Geprüft werden einzelne Aspekte dieser Theorie anhand einer umfangreichen Stichprobe von N = 954 Personen, die aufgrund sexuell motivierter Straftaten verurteilt und zwischen 2002 und 2018 an der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) im österreichischen Strafvollzug zu Vollzugszwecken ausführlich begutachtet worden sind. Dabei wurden u. a. der Fragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren (FAF) sowie der Grazer Assertivitätstest (GAT) verwendet. Die Ergebnisse zeigen, dass als paraphil diagnostizierte Probanden signifikant weniger spontane Aggression und weniger soziale Kompetenz als die Vergleichsgruppe ohne Paraphiliediagnose berichten. Die Ergebnisse lassen sich insofern mit der zentralen Annahme der Stoller’schen Perversionstheorie in Einklang bringen, als dass zwischen einer Paraphilie-Diagnose und selbstberichteter Aggression eine inverse Beziehung festgestellt wird.